Das Ausstellungs-, Recherche- und Performance-Format Angry textile arbeitet im Zwischenraum, im Intra-Aktionsraum und verabschiedet sich von harmlosen Textilbezügen oder dem Schonbezug. Positionen der Kunst und Gestaltung, die im Erfahrungsraum der Wut unterwegs sind, werden vom 29. August bis zum 14. Oktober 2025 im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und in der Handwerksgasse Völklingen zu sehen sein. Ein Begegnungsort, an dem Stoffe nicht nur Material sind, sondern Träger*innen von bekannten und ungesagten Geschichten, von Wut, Schmerz und Widerstand. Mit Performances, Lesungen und Workshops begleiten wir die Ausstellung Angry textile als eine radikale Annäherung an das Unausgesprochene, das im Gewebe schwingt – eine Einladung, die leisen und lauten Stimmen der Wut im Material zu hören, zu sehen und zu fühlen.
Ein Textil kann wütend sein, weil es den Bezug zum Körper verloren hat. Ein Körper kann wütend sein, weil er das Textil, seinen Kon-Text, verloren hat. Wut kann aufkommen, wenn die textilen Beziehungen reißen, knebeln, fesseln oder unverbindlich sind. Steckt der Ärger im Gewebe selbst, weil es unter ausbeuterischen, toxischen Umständen entsteht, auf das Häusliche reduziert wird oder auf Verletzung und Gewalt nur reagieren kann, aber sonst zu wenig sagen darf?
Fehlt das Textil, ist der Körper umso verletzlicher. Fehlt der Körper, ist das Textil eine Hülle der Abwesenheit. Kuscheldecken und Verbände benutzen die Textur bzw. Zusammenfügung ihres Textil, um Verletzungen zu heilen. Vielleicht sind wir schon mal wütend, um erst gar nicht verletzt zu werden und das Textile reagiert nicht nur auf unsere Aufgebrachtheit und Gewalt. Angry textile wird befreiend wirken.
Angry textile arbeitet im Zwischenraum, auf der Haut, unter der Haut. Die leibliche Resonanz unserer Gefühlswelt trifft auf Textiles, weil es so nahe ist. Textil vermittelt den Ausdruck von Gefühlen, indem es sich beteiligt: es zittert mit, es hält zurück, es bindet, verbindet, entbindet oder befreit sich und wandelt den Körper. Es ist Teil des Erlebens und zeigt Spuren. Es reißt oder es hält, es spannt oder entspannt, es wärmt, es reibt, es bleibt dabei oder verliert sich, es gibt frei oder behält. Die Wut hat Bewegungspotential, sodass wir im Erleben von dieser Emotion (lat. movere, herausbewegen) das Textil in Bewegung bringen und seine Dynamik des Gefüges anregen.
In emotions, we are moved to move. – Maxine Sheets-Johnstone.
Wir bewegen uns, mit oder ohne Textilien. Wenn sie dabei sind, laden sie sich auf, es kommt zu Interaktionen oder sie warten und lassen uns sein. Die Radikalität der Umstände fordert von uns, gegenüber unseren sozialen Geweben erreg- und berührbar zu bleiben.
Wir brauchen Verbindlichkeit und Kö(r)perbindungen, um nicht den Faden zueinander zu verlieren. In seiner Weichheit, Berührtheit und Nähe der Wut treffen wir zusammen. Lasst uns gemeinsam herumspinnen, tanzend flechten und landschaftliche Vernähungen ausprobieren. Auch wenn uns der Geduldsfaden manchmal reißt. Auch wenn wir durch ein kleines Nadelöhr gehen müssen. Auf der anderen Seite steht ein breites Netz, das uns alle zusammenhält und Löcher zum Teilen, Durchatmen, Dehnen und flexiblen, kontinuierlichen Verhandeln von Platz und Raum aufmacht. Jeder Knoten hält den nächsten.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Spekulative Nomad*innen und Europäisches Zentrum für Promenadologie Völklingen
Künstler*innen
Mit Afghanischen Teppichknüpfer*innen, Aliz Farkas, Amrei Treis, Anna Hecht, Anna von Trott, Annemarie Burckhardt, Annika Kundi, Bente Heyer, Bella Freud, Camilo Berstecher Barrero, Celine Gieseler, Christian Boltanski, Dániel Cseh, Das fliegende S, Donata Koschel, Elea Madl, Emily Zaki, entangled living beings, Frederic Ehlers, Fred Sandback, Friedhelm Rettig, Georg Winter, Giuliano Di Bendetto, Ham Babaei, Hyun Ju Do, Häkelgruppe JVA Saarbrücken, Indra Kupferschmid, Irene Taratera, Judit Kele, Julia Glas, Katalin Winter, Katrin Beyer, Kerstin Rullik, Kinderhaus Völklingen, Klára Oó, Konrad Stahlhofer, Kovács Bezüge, Latifa Hamido, Larissa Peters, Leonie Adam, Lisa Biedlingmaier, Louise Bourgeois & Sandro, Lucas Breuer, Marc Julian Oeltze, Marie Götze, Martina Wegener, Márta Honty, Pasquale Polidori, Paula Schmitt, Paulina Sycha, Robin Reutler, Romane Holderried Kaesdorf, Rote Aktion, Sebastian Schütz, Šejla Daudbašić, Tara Allinger, Thekla Lüken gen. Klaßen, Thelio Rabin-Laguens, Theresa Dorothea Schwind, Tilla Giro, Ulrika Jäger, Valentin Ernestus, Yann Crosbie
Veranstaltungen während der Ausstellung
Vernissage: 29. August 2025, 17 Uhr
Finissage: 14. Oktober 2025, 17 Uhr
Performances
29. August, 17 Uhr:
Klangteppich, Soundperformance, Ham Babaei
31. August, 12 Uhr; 13. September, 17 Uhr; 3. Oktober, 15 Uhr und 11. Oktober, 17 Uhr:
Carry Landscape, Erschütterungsperformance, entangled livings (Pilze) und Larissa Peters
13. September, 17 Uhr:
Rat Walk
10. Oktober, 11–17 Uhr:
Performatives Training zum RageDance mit Frédéric Ehlers und Martina Wegener. Offenes Format, alle sind willkommen!
11. Oktober,
11 Uhr: Glean Walk mit Tilla Orgier und Paulina Sycha through Völklingen City (2 Stunden)
14 Uhr: Tour durch die Ausstellung
16 Uhr: Rat Walk and RageDance
17 Uhr: Erschütterungsperformance mit und für Shii(take)
12. Oktober,
13 Uhr: Vortrag “The Feminine Urge – Ein feministischer Horrorfilm über Wut, Körper und Transformation” von An Phi Phuong und Lilian Brade
14 Uhr: Tour durch die Ausstellung
17 Uhr: Performance “Écran habité – La chose inconnue” von Pasquale Polidori und Tilla Giro, mit Amrei Treis, Thelio Rabin-Laguens, Samuele Lascialfari
18 Uhr: Happy End Feierlichkeit
14. Oktober,
13 Uhr: Tour für HBK Studierende und Mitarbeiter*innen der HBKsaar durch die ‘angry textile’ Ausstellung im UNESCO Weltkulturerbe Völklinger Hütte und Handwerkergasse
17 Uhr: Finissage und Gassen-Treffen
Workshops
26. August, 16–18 Uhr; 30. August, 10–16 Uhr; 31. August, 10–14 Uhr; 3. Oktober, 10–16 Uhr;
4. Oktober, 10–16 Uhr und 20.–25. Oktober, jeweils 10–16 Uhr:
Wir.hinterlassen.Spuren. Workshop, Kinder des Kinderhauses Völklingen und das Fliegende S
25. Oktober, 12 Uhr und 14 Uhr: Rundgang der Kinder. Folgt unserem Faden! Angry Textile on Tour
Glean Walk mit Paulina Sycha und Tilla Giro
This walk traces collecting as a practice of dialogue and relating – relating to a place a plant a path a cloth a craft a fragment a time and to one another. What are the crumbs and scraps left behind and what stories do they reveal? How can we gather? Paulina Sycha and Tilla Giro invite you to join them on a gleaning walk. The meeting point is in front of Völklingen train station on Saturday, 11 October, 2025, at 11:00 a.m.
Auf diesem Spaziergang wird das Suchen und Sammeln als eine Form des Dialogs verstanden – als Gespräch mit einem Ort, einem Weg, einem Geräusch, einer Pflanze, einem Fetzen, einem Bruchstück, einer Zeit und miteinander. Welche Fragmente und Reste werden zurückgelassen und was für Geschichten tragen sie? Wie beeinflusst das Behältnis was gesammelt wird? Und was ist es Wert aufgelesen zu werden? Paulina Sycha und Tilla Giro laden zum Spaziergang der Nachlese ein. Treffpunkt ist vor dem Bahnhof Völklingen am Samstag, den 11. Oktober 2025 um 11:00 Uhr.
Performance “Écran habité – La chose inconnue” von Pasquale Polidori und Tilla Giro, mit Amrei Treis, Thelio Rabin-Laguens, Samuele Lascialfari
A science fiction film is projected onto a sculpture-screen animated by the presence of a small group of performers. The screen distorts the images, giving it the appearance of a moving body, something like an animal form. In this fantasy of a living cinema, questions arise and fail to be answered.
Ein Science-Fiction-Film wird auf eine Skulptur-Leinwand projiziert, die durch die Anwesenheit einer kleinen Gruppe von Darstellern zum Leben erweckt wird. Die Leinwand verzerrt die Bilder und lässt sie wie einen sich bewegenden Körper erscheinen, ähnlich einer Tiergestalt. In dieser Fantasie eines lebendigen Kinos tauchen Fragen auf, die unbeantwortet bleiben.
The Feminine Urge. Ein feministischer Horrorfilm über Wut, Körper und Transformation mit An Phi Phuong und Lilian Brade
The Feminine Urge verhandelt weibliche Wut und das monströse Weibliche als körperliche, ästhetische und mythologische Erfahrung. Der experimentelle Kurzfilm entfaltet in Form einer Anthologie eine visuelle Erzählung über Transformation, Begehren und Widerstand. Beginnend mit einer künstlichen Geburt und endend in der Auflösung eines weiblichen Urkörpers führt der Film durch eine assoziative Reise symbolisch aufgeladener Räume – zwischen Labor, Thermalbad, Gynäkologiestuhl, Pferdekörpern und Ruinen. Stoffe, Körper und Gesten werden zur Sprache einer feministischen Horrorsensibilität, die sich jeder eindeutigen Lesbarkeit entzieht. Ohne Dialog, aber mit bildlicher Wucht, setzt The Feminine Urge dem linearen Erzählen eine poetische Montage aus Körperpolitik und Rebellion entgegen.
Nach dem Screening sprechen die Regisseurinnen Lilian Brade und Phuong An Phi über die Entstehung von The Feminine Urge – über kollektive Bildproduktion, feministische Horrorästhetik und den kreativen Prozess hinter dem Film.
Erschütterungsperformances mit und für Shii(take)
Regen und Donner veranlassen die meisten Pilze zu wachsen. Jeder Pilz hat sein Bedürfnis. Manche Pilze wie der Shii brauchen unsere Erschütterung zu ihrer Fruchtung, andere suchen die völlige Ruhe beim Wachstum wie der Schopftintling. Shiitake lieben auch einen starken Temperaturabfall. Manchmal duscht ein Shiitake deswegen in meinem Bad. Pilze rollen uns an den Randbereich vieler Fragen, sie erschüttern uns und bringen uns ins Wanken (Sheldrake, Merlin, 2021). Und manchmal müssen wir das auch für sie tun. Sein Mikrorhythmus bringt mich durch unsere Komplizenschaft in Bewegung. Wir leben in einer Welt, die ständig bebt, wenn Emotionen uns zum innerlichen und äußerlichen Zittern und Vibrieren bringen. Können wir ein Sturm, ein Donner, eine Regenzeit oder ein Baum für Shii sein, um ihn durch diese emotionale Erschütterungen zu wecken?